Es begab sich aber zu der Zeit…

…da um die Jahrhundertwende ein kleiner Bub die zahlreichen prachtvollen Weihnachtskrippen in den Münchner Kirchen mit großen Augen bestaunte. Damit folgte der kleine Carl Orff einer beliebten Tradition, dem «Kripperlschauen», der wohl nirgendwo so ausführlich gefrönt wurde wie im «kripperlnarrischen» München. Da ist es nur folgerichtig, dass sich hier sehr früh der Verein «Münchner Krippenfreunde» gründete. Seit 1917 halten die Freunde bis heute die Tradition des Krippenbauens und -schauens hoch und laden jedes Jahr zu regelrechten Krippen-Pilgerwegen durch München und Umgebung ein. Aber nicht nur in Kirchen, sondern auch in betuchten Bürgerhäusern zeigte man im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts voller Stolz die «krippalen» Errungenschaften, die oft wahre Kunstwerke waren und deren Entstehung teilweise bis in die Barockzeit zurückreichte. Ob sich Carl Orff dort auch tummelte, ist nicht überliefert, aber die Krippen hinterließen einen bleibenden Eindruck:


Sie erweckten in mir den Wunsch, zu Hause auch so etwas aufzubauen, denn die kleine, alljährlich gleiche Krippe unterm Christbaum genügte meiner angeregten Phantasie nicht mehr. Mit Hilfe meines Vaters konnte ich mir an einem dafür geeigneten Platz eine richtige Bühne aufbauen mit viel phantastischem Felsgestein, mit Moos, Sand, Kies und Wacholder. Der Hintergrund war blauer Himmel aus Pappe mit vielen Sternen, die von rückwärts beleuchtet wurden. […]

Wie immer blieb es bei mir nicht bei den üblichen Darstellungen, die ich gesehen hatte, sondern ich dachte mir neue aus. So den «Zug der Könige über die Berge»; da konnte ich gefahrvolle, halsbrecherische Stege über den Abgrund bauen, über Wassertümpel, die von Spiegeln vorgetäuscht und Höhlen, die von innen mit Lichtern hinter blauem Glas beleuchtet waren, über die der ganze Troß mit Pferden und Elefanten hinwegzog. […] Mit solchen Aufbauten verbrachte ich viele Tage und spielte Theater ohne zu wissen, dass ich es tat.


Mit solch dramatischen Szenen spann Orff ganz unbewusst die Ursprungsidee der Jesuiten weiter. Denn diese ersten „«Krippenaufsteller» hatten bereits seit dem 16. Jahrhundert im Sinn, möglichst allen Menschen – viele von ihnen Analphabeten – auf anschauliche und bildhafte Weise die heilsgeschichtlich zentralen Ereignisse nahezubringen und sie zur Frömmigkeit anzuregen. Ob die Jesuiten Orffs Abenteuergeschichten gutgeheißen hätten, ist unklar. Zweifellos fruchtete ihre Idee bei ihm aber in ungeahntem Ausmaß: Nach seinem Krippentheaterspiel in der Kindheit betätigte sich Orff ca. 45 Jahre später als Textdichter des bayerischen Krippenspiels für Kinder (Die Weihnachtsgeschichte / Musik: Gunild Keetmann). Noch eine Weile später schuf er mit seinem Weihnachtsspiel Ludus de nato Infante mirificus ein archaisch-abenteuerliches Werk mit Hexen als Hauptfiguren, die die Urgewalt des Bösen verkörpern. Die himmlischen Mächte vertreiben sie am Ende zwar, aber ausgerottet werden sie mitnichten. Ob diese Version von Christi Geburt zur Frömmigkeit anregt, sei dahingestellt. Eindrücklich ist sie auf alle Fälle.


[Text: Kristina Gerhard]

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