(Papier-)Bretter, die die Welt bedeuten...


Eines Tages, es war noch vor meinem zehnten Geburtstag, nahm mich meine Mutter auf den großväterlichen Speicher mit. Da stand in einem Winkel, sorgsam zerlegt und verpackt, ein Figurentheater, das aus der Kindheit meines Großvaters stammte. Es war ein richtiges Miniaturtheater, 80 x 80 cm groß und 50 cm tief mit Prospekt und Vorhang, je drei Kulissen im Hintergrund. Eine Anzahl von auswechselbaren Dekorationen war noch da, die Figuren fehlten bis auf einige Restbestände. […]

Nachdem ich das Theater in meinem Zimmer aufgestellt hatte, musste ich daran gehen, neue Dekorationen und vor allem Figuren zu beschaffen. In meiner Kinderzeit bekam man diese noch auf Bilderbogen zum Ausschneiden. Leider konnten diese Figuren nicht beweglich gemacht werden, sie konnten nur geschoben werden und verharrten in ihrer immer gleichen Stellung. Alle die Stücke, die ich vom Marionettentheater her kannte, waren damit nicht darzustellen. Ich musste mir ein eigenes, statisches Theater ausdenken und verlegte den Schwerpunkt auf die vielen, sich verwandelnden Dekorationen, auf Bühnenzauber und „technische Einrichtungen“ wie stürmische Meereswellen, bewegte, ziehende Wolken oder Gewitter mit entsprechender Musik und Geräuschen.

Das Entscheidende für mich bei diesem Theater war wohl, dass mein Musizieren und mein Theaterspielen sich ergänzten und bald zu einer Einheit wurden.


Orffs Begeisterung für das Theater wurde bereits einige Jahre vor dem oben beschriebenen Erlebnis geweckt: Als 5jähriger durfte er sich auf dem Oktoberfest ein Kasperltheater ansehen, woraufhin er sich, wieder daheim, gleich in eigene Spielversuche mit Kartoffelkopf-Figuren stürzte.

Ein Jahr später erlebte er seine erste Aufführung im Münchner Marionettentheater – einer echten Institution in der bayerischen Landeshauptstadt. Das Theater wurde Mitte des 19. Jahrhunderts von Josef Leonhard Schmid, auch «Papa Schmid» genannt, gegründet und führte vor allem Stücke von Franz von Pocci, dem «Kasperlgrafen», auf. In den meisten Geschichten spielt die Kasperlfigur «Larifari» die Hauptrolle und schlägt sich mit Witz, Bauernschläue und einer ordentlichen Portion Gemeinheit durchs Leben. Die Aufführungen des Marionettentheaters wandten sich zwar in erster Linie an ein junges Publikum, waren aber nie kindisch oder sentimental, sondern unterhielten Alt und Jung mit viel intelligentem Wortwitz. Carl Orff hatte wohl das Glück, dass er «Papa Schmid» noch selbst erleben konnte, denn der spielte bzw. sprach bis kurz vor seinem Tod im Jahre 1912 regelmäßig den «Larifari». Der junge Carl war auf alle Fälle schwer beeindruckt und seine Phantasie lief auf Hochtouren. So ist es auch kein Wunder, dass er sich mit Feuereifer auf das neue, alte Papiertheaters stürzte und alle Möglichkeiten auslotete, die diese neuartige Form zu bieten hatte. Für den Geschmack seiner Mutter übertrieb es Orff zu Beginn wohl ein wenig mit dem Bühnenzauber, insbesondere dem Feuerwerk, so dass sie bald nur noch Aufführungen mit bereitgestellten Wassereimern erlaubte… das Haus hat’s überlebt und der Theatermann Orff war geboren.  


[Text: Kristina Gerhard]

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