Carl Orff will hoch hinaus

Musikalukulinarische Höhenflüge in aller Munde

½ kg gewiegtes Rindfleisch und 125 g gewiegtes Schweinefleisch wird mit 2 Eiern, 1 eingeweichten, gut ausgedrückten Milchbrot, einigen gewiegten Sardellen und etwas gestoßenem Pfeffer gut vermengt. Zuletzt mischt man noch geriebene Semmel darunter und formt runde Klöße.


Nein, das ist kein Rezept aus der Sammlung von Orffs Frau Liselotte. So schildert ein Kochbuch von 1845 jenes berühmte Gericht, das man auch heute noch mit der ehemals preußischen Hauptstadt Königsberg verbindet: die Königsberger Klopse. Dass Carl Orff aber, der durchaus einen feinen Gaumen hatte, zunächst auch nur der leiseste Gedanke an dieses Gericht kam, als er 1930 in die preußische Metropole reiste, ist zu bezweifeln, hingen seine Gedanken doch gänzlich an der bevorstehenden Uraufführung…

Ende der 1920er Jahre begann die künstlerische Avantgarde einen neuen musikulinarischen Kontinent zu entdecken: die Übertragung von Musik aus Großlautsprechern! Und auch Orff fing Feuer und buk und braute leidenschaftlich mit! Wobei ihm für diese Art, Musik zu servieren, die instrumentale Mehrchörigkeit, exzellent geeignet schien. Die Mehrchörigkeit, also das Musizieren voneinander getrennt positionierter vokaler oder auch instrumentaler Chöre bzw. Gruppen, war im 16. Jahrhundert in Italien entstanden und hatte sich wie ein Lauffeuer über ganz Europa verbreitet. Allerdings wollte Orff diese ursprünglich für Innenräume gedachte Musik ins Freie bringen; er stellte sich vor, Musik mittels Großlautsprecher von Türmen auszustrahlen: Jede instrumentale Gruppe sollte von einem anderen Turm gesendet werden, und durch die aus verschiedenen Richtungen und Entfernungen aufeinander treffenden Schallwellen sollte ein gänzlich neues Musikerlebnis entstehen.

Als musikalischen Fond für seine Idee wählte Carl Orff das feine Klavierstück The Bells (Die Glocken) des Renaissance-Komponisten William Byrd. Die Melodie dieses Stücks, die sich über einem durchgängig zweitönigen Glockenbass aufschwingt, schien Orff für sein Experiment perfekt geeignet. Er bearbeitete Byrds Opusculum für fünf Orchestergruppen und gab ihm den Titel Entrata.

Orff zeigte die Partitur dem Dirigenten Hermann Scherchen, der für dieses Rundfunk- und Lautsprecher-Experiment sofort Feuer und Flamme war und es 1930 aufs Programm des traditionellen Tonkünstlerfestes setzte, das in jenem Jahr in Königsberg stattfand. Auf dem dortigen Messegelände wurden drei Lautsprechertürme in ausgetüftelter Entfernung voneinander errichtet und die fünf Instrumentengruppen der Partitur auf drei zusammengezogen. Scherchen selbst leitete eine Orchestergruppe im großen Sendesaal des Funkhauses; die zwei weiteren Gruppen, anderswo positioniert, dirigierte er mithilfe eines Tasters durch Lichtsignale. Die Musik der drei Instrumentengruppen wurde einzeln live auf die drei Lautsprechertürme übertragen, um dann, aus drei Richtungen kommend, zu einem gleichsam perspektivisch wirkenden Gesamtklang zu verschmelzen.

Die Uraufführung am 7. Juni nachmittags stieß auf große Begeisterung und war als Turmmusik – gereicht nebst lukullischen Genüssen wie dem Königsberger Marzipan – rasch in aller Munde.

Wieder zurück in München, wollte Orff sein musikalisches Experiment in verfeinerter Form auf die hiesigen Türme übertragen. Allerdings, trotz raffinierter Klangrezepte konnte er den Münchnern den Mund nicht wässrig machen: Die Bayern fanden leider keinen Geschmack an Orffs hoch raffiniertem Ohrenschmaus.


[Text: Johannes Schindlbeck]

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