Antigonæ - Ein Trauerspiel des Sophokles von Friedrich Hölderlin (1949)

»Ich mußte neuen Boden finden, neu beginnen.«[1]

Orffs Überlegungen zu einer neuen Aneignung der griechischen Tragödie reichen bis 1914 zurück. Hölderlins ›Antigone‹-Übersetzung, die Orff 1940 in einer Inszenierung in Wien sah, machte ihm endgültig deutlich, daß die Wiedergabe als Sprechtheater per se defizitär und verfälschend bleiben müsse. Ein künftiger Weg schien Orff durch radikale Herausnahme der Tragödie aus der klassizistisch-romantischen Tradition möglich, was eine ebenso entschiedene Abkehr von der Konfliktdramatik des Schauspiels wie von der Dominanz der Musik in der Oper bedeutet.

Orff sah in Hölderlins Übertragung weder ein Libretto für eine Komposition im Sinne der Oper noch ein Modell für eine Umgestaltung innerhalb der seit der Renaissance kontinuierlichen weltweiten Rezeptionsgeschichte. Orffs einziges Ziel ist die Wiedergewinnung der sinnlichen Leibhaftigkeit und rituellen Präsenz des tragischen Worts für das Musiktheater des 20. Jahrhunderts.[2]

 

   

Aus den Elementen und Techniken seines voll entwickelten Personalstils kreiert Orff einen Tragödienstil ohne Vorbild und Vergleichbarkeit. Die Musikalisierung des tragischen Worts ist weder Duplikat noch Untermalung der Sprache, sondern führt zu einem gestischen, körperhaft-plastischen, »enthusiastischen« Sprechen, dessen kurzphasig wechselnde Nuancen die innere Bewegtheit der tragischen Figur deutend mitahmen.

Bei der Umsetzung in eine adäquate Körpersprache denkt Orff nicht an Tanz im wörtlichen Sinn, sondern an ein Ausschreiten der musikalischen Strukturen. Trotz des ungewöhnlichen Stils wurde die Uraufführung zu einem großen Erfolg.

Orffs Neuansatz wurde als »Rückverwandlung« der Tragödie in das Bewußtsein der Gegenwart verstanden und von Seiten der Geisteswissenschaften als »epochale Zäsur« in der Rezeptionsgeschichte der griechischen Tragödie empfunden.[2]

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[1] CO-Dok VII,9; [2] Werner Thomas in: Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, Band 4, München 1991, S.581 ff.
Abb.: 1 Madeline Winkler-Betzendahl, Deutsches Theatermuseum; 2 OZM; 3 Rudolf Betz, München (CO-Dok IV/XX) Deutsches Theatermuseum München
Video: Media Programm/Werner Lütje, 1990

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