Nächster Halt: Sommerfrische


«Allsommerlich seit 1898 waren wir einige Wochen in Unteralting, auf dem Land. Unteralting war ein kleines Dorf nahe Grafrath, dem idyllisch an der Amper gelegenen Wallfahrtsort. Außer dem Kloster und der berühmten Kirche gab es dort nur ein paar Häuser, ein Wirtshaus, ein Forsthaus, den Kramer und den Bäcker. […] Wie wir einmal zu dem kleinen Haus, das einer alten Bauerswitwe gehörte und dessen ersten Stock wir allsommers bewohnten, gekommen waren, weiß ich heute nicht mehr zu sagen.»


Nach Carl Orffs Worten reisten Papa Heinrich und Mutter Paula also in Sommerzeiten mit Kind und Kegel, will heißen mit Tochter Maria und Sohnemann Carl, und mit Sack und Pack und Ferienfreud' aufs Land. Zum Behufe dieser Reise zwängte man sich in München in den Zug, aus dem man dann nach gut dreißig Kilometern und gut drei Viertelstunden in Grafrath wieder auf den Perron purzelte. Der Anblick, der sich Familie Orff dabei eröffnete, war der folgende:



Zurzeit der ersten Ferienreise des kleinen Carl existierte die Bahnstation Grafrath bereits seit einem Vierteljahrhundert: exakt wurde sie am 1. Mai 1873 in Betrieb genommen. Die Station lag an der eingleisigen Trasse München-Memmingen und war als «Expedition 1. Klasse» eingestuft, also als eine kleine Bahnstation. Und deshalb erhielt sie ein Empfangsgebäude mit nur einem Obergeschoss, mit nur sechs Fenstern und mit nur einem einfachen Vordach auf der Gleisseite. Stilistisch war das Gebäude, wie alle Bahnhöfe der Memminger Linie, im tradierten Palazzo-Stil gehalten, also in einer Bauform des 19. und 20. Jahrhunderts, welche auf Palazzi (also Paläste) der italienischen Renaissance zurückgreift. Errichtet wurde der Bahnhof für die Pilger, die schweigsam zur Wallfahrtskirche St. Rasso schlurften, aber auch für die sonnenhungrigen Ammersee-Ausflügler, die schnatternd zum Wasser stürmten. Sowohl der Anleger fürs Schiff zum Ammersee als auch die weihrauchgeschwängerte Wallfahrtskirche waren vom Bahnhof aus in kurzer Zeit zu Fuß oder auch mit einem Stellwagen zu erreichen. Die junge Familie Orff legte diesen Weg sicher unzählige Male zurück, denn das sogenannte «Landhaus Orff» lag ganz in der Nähe von Dampfersteg und Kirche:


«Von der Schiffslände Grafrath führte amperabwärts ein Fußweg über einen wackligen Steg bis zu den ersten Häusern von Unteralting, zu der großen Wirtschaft und zum «Amperschuster». Von da war es nicht weit zu unserem Haus, das an der ansteigenden Straße lag.»


Es war also gewissermaßen nur ein Steinwurf von der Bahnstation zum Landhaus, vom vollen Zug zum tollen Ferienvergnügen. Und der kleine Bahnhof im italienischen Flair verpasste dem jungen Orff schon bei der Ankunft in Grafrath eine gehörige Portion Urlaubsfeeling. Ein Feeling, das ihm so ans Herz wuchs, dass er noch im hohen Alter von Grafrath und Unteralting schwärmte: «Jedenfalls waren wir dort glücklich.»

Wenn das keine Sommerfrische war!

[Text: Johannes Schindlbeck]

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