Praxis

Das OSW als Elementare Musik- und Tanzpädagogik aktiviert ein anthropogenes Ausdruckspotential und kulturübergreifende musikalische Verhaltensweisen und eröffnet dadurch nicht nur musikpädagogische sondern viele allgemeinpädagogische, integrative und therapeutische Möglichkeiten.

Um das Wesen des OSWs zu erfassen, müssen Konzeption und Publikation unterschieden werden. Die zeitlose konzeptionelle Idee besteht aus der Stimulierung und Förderung des expressiven, kreativen musikalischen Verhaltens in einer engen Verbindung von Musik, Sprache und Bewegung.

Die Realisierung erfolgt durch improvisatorische Prozesse in der Gruppe, wobei ›einfache‹ Formen im anthropologischen Sinn den Rhythmus, die Melodie, das Klanggeschehen, die Gliederung und die musikalische Interaktion bestimmen. Die Publikationen des OSWs ›Elementare Musikübung‹ (1932-1935) und des OSWs ›Musik für Kinder‹ (1950-1954) bieten notierte Modelle für einen handlungsorientierten Musikunterricht, spiegeln aber natürlich durch ihre schriftliche Fixierung die zeitbedingte Komponente kulturellen Handelns.

Fehldeutungen und Verfälschungen des OSWs entstehen bis heute gerade dadurch, dass Notate aus den OSW-Publikationen ohne ihren geistigen und pädagogischen Kontext, also vor allem ohne Improvisation und Bewegung reproduziert werden.            
Eine authentische Realisierung des OSWs erfordert die Berücksichtigung bestimmter pädagogischer Prinzipien und inhaltlicher Vorgaben.

Pädagogen sollen

  • mit prozesshaften Ausgangssituationen beginnen, d.h. durch ausprobieren, wiederholen, verändern Material festlegen, von der Exploration zum »Wagnis der Improvisation« (U. Jungmair) kommen und Notation erst in zweiter Linie einsetzen.
  • Lernen als interaktiven Prozess in der Gruppe inszenieren, d.h. sowohl festgelegte wie improvisierte Inhalte im Ruf-Antwort-Schema, Echo-Schema, Rondo-Schema realisieren und dabei die Möglichkeit verschiedener Leistungsgrade offen lassen.
  • Bewegen, Sprechen, Singen und Instrumentalspiel so weit wie möglich integrieren, d.h. das Eine aus dem Anderen hervorgehen lassen und alle Aktivitäten in abschließenden Gestaltungsprojekten zusammenführen.
  • Bausteinhafte Strukturen und das Pattern-Prinzip bevorzugen, d.h. durch kleinere überschaubare Gestaltungseinheiten einerseits Überforderung und Angst vor dem eigenen Produzieren abbauen und andererseits ein weltweit verbreitetes musikalisches Gestaltungsprinzip aktualisieren.

Die inhaltlichen Vorgaben sind im Sinne des didaktischen Terminus Lerninhalte zu verstehen:

  • Der Rhythmus als verbindendes Element von Musik, Sprache und Bewegung ist grundlegender, ständig präsenter Lerninhalt. Im OSW wird ihm, vor allem in der Erscheinungsform der Körperperkussion, tänzerischer Bewegungsformen und des Spiels auf Schlaginstrumenten eine primäre Bedeutung zugewiesen.

  • Melodien sollen sich aus spontanen Vokaläußerungen wie affektgeladenes Sprechen, Rufen, Rezitieren, Summen, Singen oder aus explorativem Spiel auf elementaren Melodieinstrumenten (Flöten, Stabspiele) ergeben. Dabei spielt das jeweilige Ausdrucksmodell und der entstehende melodische Bogen die wichtigste Rolle. Die Festlegung auf Modus oder Tonart kann sekundär erfolgen.

  • Die Auseinandersetzung mit klanglichen und harmonischen Strukturen beginnt mit einem Grundklang, also mit dem Bordunprinzip. Rhythmus und Melodie bilden in der ›Rhythmisch-melodischen Übung‹ eine Grundstruktur, die monoklanglich gestützt ist. Erfinden und Improvisieren sind nicht an einen mehrstimmigen Satz im abendländischen Sinn gebunden. Klangliche Erweiterung erfolgt als Stufenharmonik, Parallelismus und Schichtung.

 

Michael Kugler, 2012

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Abb: 1-4 U. Meyerholz

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