Bellah, Hupferl & Co(rff)

Mal abgesehen von aller stilistischen Divergenz: Was haben Gaspare Spontinis Olimpie, Giacomo Meyerbeers Dinorah und Engelbert Humperdincks Königskinder gemeinsam? – Bei den Uraufführungen aller drei Opern waren Tiere mit von der Partie! In den Königskindern hütete die Hauptdarstellerin eine Schar Gänse, für Dinorah wurde von einem Clown des Pariser Cirque d’Hiver eigens die Ziege Bellah dressiert, und in der Uraufführung von Olimpie bogen sich die Bühnenbretter unter den Tritten von zwei ausgewachsenen Elefanten.

Doch so prominent diese Auftritte von Noahs Arche-Typen auch waren: Sie sangen nicht! – Freilich, Fauna-Fan Carl Orff wäre nicht Vorreiter in Sachen Monteverdi, Schulmusik, Schlagwerk gewesen, wenn er nicht auch Vorreiter in Sachen singende Tiere gewesen wäre! Orff war nämlich der erste, der auf der Opernbühne ein Tier zum Singen brachte – und zwar eine Kuh! Aber nicht irgendeine Kuh, nein, die Kuh schlechthin: die mythische, müde Kuh Io in Prometheus. Göttervater Zeus hatte ein pikantes Ku(h)ddelmu(h)ddel mit der Priesterin Io und verwandelte sie dann sicherheitshalber – um sie vor seiner eifersüchtigen Gattin Hera zu verbergen – in eine milchweiß wunderschöne Kuh. Die göttliche Angetraute allerdings durchschaute den (unter)irdischen Taschenspielertrick und jagte den verzweifelten Paarhufer zum Behufe der Rache mit einer Bremse bis an den Rand der Erschöpfung an den Rand der Welt, nach Skythien, zu einem Landstrich unzugänglicher Einöde.

Orff schrieb seiner Io irre, rasende Koloraturen in die Kehle; Ios unermüdliches Hufgetrappel wiederum fußt auf der Darabuka, der traditionellen Trommel arabischer Wandermusiker. Der Komponist studierte, komponierte und probierte dieses Hufgetrappel, und damit auch seine irrende Io, Mitte der sechziger Jahre auf seinem Anwesen in Dießen. Aber erst 25 Jahre später verirrten sich wirkliche Kühe in seinen Garten, und zwar Schottische Galloway-Rinder: Ein gutes Halbdutzend davon trappelte nämlich unter der züchterischen Hand von Orffs Gattin Liselotte muhend und mampfend rund ums Haus: Und Hupferl, Halma, Leopold & Co. wurden vielleicht das eine oder andere Mal von einer Bremse gepiesackt, ab und an mal um das Haus, aber sicher nicht mehr um die Welt gejagt!

Kurze coole Coda: Erst 2008 sollte wieder einer singenden Kuh der Sprung auf die Opernbühne gelingen, und zwar in der Opernversion von Andri Beyelers Theaterstück Die Kuh Rosemarie. Hier freilich brachte die Komponistin dann, im Gegensatz zu Orff, die naheliegenden Kuhglocken zum Einsatz. Interessanterweise lassen sich in ihrer Orchesterbesetzung aber auch überraschende Parallelen zu Orffs Prometheus finden: Die drei weiteren von Claudia Federspieler verwendeten Schlagwerkinstrumente kommen nämlich auch bei Orffs Io zum Einsatz: einfellige Trommel (Conga bzw. Bongo), Xylophon und Tempelblock. Im wahrsten Sinne des Wortes eine kuh-le Parallelität!


[Text: Johannes Schindlbeck]

>  Start   >    Institutionen   >    Carl Orff Museum   >